Einleitung

Die bundesweite NAKO Gesundheitsstudie ist mit über 205.000 Teilnehmenden die größte langfristig angelegte prospektive Kohortenstudie Deutschlands. Ziel dieser Langzeitgesundheitsstudie ist es, die Ursachen und Risikofaktoren der wichtigsten Volkskrankheiten in Deutschland genauer zu untersuchen und neue Strategien zur Prävention, Vorhersage und Früherkennung zu entwickeln [1]. Krebserkrankungen sind nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland [2]. Durch verbesserte Früherkennung und medizinische Fortschritte in der Krebstherapie sowie den demografischen Wandel ist die Zahl der mit einer Tumordiagnose lebenden Menschen in den letzten Dekaden angestiegen und ein weiterer Anstieg wird prognostiziert. In der Basiserhebung der NAKO wurden neben anderen Vorerkrankungen auch Krebserkrankungen von den Teilnehmenden erfragt. Es handelt sich hierbei um Selbstangaben von ärztlich diagnostizierten Krebserkrankungen, die in der Vergangenheit aufgetreten waren. Eine Auswertung der selbstberichteten Krebsdiagnosen in der medizinischen Vorgeschichte der NAKO-Teilnehmenden ist für die Planung zukünftiger Forschungsvorhaben von Bedeutung, nicht zuletzt um einschätzen zu können, welcher Anteil der Teilnehmenden in der Vergangenheit frei von Krebserkrankungen war, da dieses Kollektiv die Ausgangspopulation für die prospektive Untersuchung der entsprechenden inzidenten Krebserkrankungen darstellt.

Ziel dieser Publikation ist die Beschreibung der Methoden zur Erfassung selbstberichteter Krebserkrankungen sowie die Präsentation erster Ergebnisse zur Häufigkeit selbstberichteter Krebserkrankungen für die erste Hälfte der Teilnehmenden in der NAKO.

Methoden

Studienpopulation

Im Rahmen der NAKO-Basiserhebung wurden von März 2014 bis September 2019 in einem Netzwerk von 18 bundesweit verteilten Studienzentren insgesamt über 205.000 Teilnehmende aus der deutschen Allgemeinbevölkerung in die Studie rekrutiert [3,4,5]. In jedem Studienzentrum wurde eine alters- und geschlechtsstratifizierte Bevölkerungsstichprobe (je 10 % in den Altersgruppen 20–29 und 30–39 Jahre, je 26,6 % in den Altersgruppen 40–49, 50–59 und 60–69 Jahre; gleiche Anteile von Männern und Frauen) aus den jeweiligen lokalen Melderegistern gezogen. Ausreichende Deutschkenntnisse und die Fähigkeit, eine informierte Einverständniserklärung abzugeben, waren weitere Kriterien für den Einschluss in die Studie. Die vorläufige Responseproportion liegt bei 18 % [5]. Im Studienzentrum nahmen die Teilnehmenden an einer Reihe von Untersuchungen und Befragungen durch geschultes und zertifiziertes Studienpersonal nach einem für alle Studienzentren einheitlichen Standardprotokoll teil.

Für alle in die Studie eingeschlossenen Teilnehmenden lag eine informierte Einverständniserklärung vor [3, 5]. Die NAKO wurde in allen Studienzentren durch die jeweils zuständigen lokalen Ethikkommissionen und Datenschutzbeauftragten geprüft bzw. genehmigt.

Für die vorliegende wissenschaftliche Auswertung wurde ein Datensatz der ersten Hälfte der Teilnehmenden (zum Stichtag 17.03.2017) verwendet, welcher zur Qualitätskontrolle und ersten Beschreibung der erhobenen Daten angelegt wurde [5]. Für die Interviewdaten der selbstberichteten Krebserkrankungen liegt ein Datensatz von 101.789 Teilnehmenden vor, von denen zwei Teilnehmende wegen fehlender Altersangaben ausgeschlossen wurden, sodass insgesamt 101.787 Teilnehmende in die Auswertung eingeschlossen wurden.

Erhebung von Krebserkrankungen

Krebserkrankungen in der medizinischen Vorgeschichte wurde in einem persönlichen, computergestützten, standardisierten Interview von geschultem Studienpersonal erfasst. Zunächst wurden alle Teilnehmenden gefragt, ob bei ihnen jemals von einem Arzt eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde und wie viele Krebserkrankungen sie hatten. Gemäß Standardprotokoll wurden die Interviewenden angewiesen, bösartige Tumore sowie In-situ-Tumore aufzunehmen, jedoch nicht semimaligne Tumore wie Basalzellkarzinome. Anschließend wurde die Art der Krebserkrankung, d. h. die Tumorlokalisation erfragt und anhand einer geschlechtsspezifischen Liste (22 Tumorlokalisationen bei Frauen, 21 bei Männern) durch den Interviewenden zugeordnet. Wenn die vom Teilnehmenden genannte Krebsart nicht in der Liste vorhanden war, wurde vom Interviewenden „sonstige Krebserkrankung“ gewählt und die genannte Krebserkrankung in ein Freitextfeld eingegeben. Zusätzlich wurde nach dem Jahr oder alternativ dem Alter bei der Erstdiagnose dieser Krebserkrankung gefragt, nach Namen und Anschrift des hauptsächlich behandelnden Arztes bzw. des Krankenhauses und ob die Teilnehmenden in den letzten 12 Monaten wegen dieser Krebserkrankung ärztlich behandelt wurden. Bei Teilnehmenden, die ärztliche Diagnosen von mehreren Krebserkrankungen angaben, wurden Angaben zu Tumorlokalisation, Jahr/Alter bei Erstdiagnose, hauptsächlich behandelndem Arzt/Krankenhaus und Behandlung in den letzten 12 Monaten auch für die zweite, dritte und – bei mehr als drei berichteten Erkrankungen – vierte beziehungsweise letzte Krebserkrankung erhoben.

Statistische Analyse

Für die vorliegende Auswertung wurden die Freitextangaben für „sonstige Krebserkrankungen“ teilweise codiert: Zum einen wurden Freitextangaben, die sich einer der zu erfassenden Tumorlokalisationen auf der Liste zuordnen ließen, extrahiert und entsprechend umcodiert. Bei den weiblichen Krebserkrankungen wurden diverse Bezeichnungen von Brustkrebs (z. B. Mammakarzinom), Gebärmutterkörperkrebs (z. B. Endometriumkarzinom) sowie Gebärmutterhalskrebs (z. B. Zervixkarzinom) extrahiert. Bei weiblichen und männlichen Krebserkrankungen wurden im Freitext einige Angaben zu Lunge (z. B. Bronchialkarzinom), Darm (z. B. Rektumkarzinom), Harnblase (z. B. Blasenkrebs), Gehirn (z. B. Hirntumor) und malignem Melanom (z. B. schwarzer Hautkrebs) extrahiert und codiert. Zusätzlich wurde aus den Freitextangaben zu „sonstige Krebserkrankung“ eine Kategorie für „nichtmelanozytären Hautkrebs“ gebildet, da etwa die Hälfte der Freitextangaben die Bezeichnungen „Basalzellkarzinom“, „Basaliom“, „heller“, „weißer“ oder „harmloser Hautkrebs“ enthielten. Auf diese Weise wurden bei der ersten Krebserkrankung die Freitexte zu „sonstige Krebserkrankung“ bei Frauen zu 12,8 % und bei Männern zu 7,3 % den vorgegebenen Tumorlokalisationen zugeordnet und bei Frauen zu 53,4 % und bei Männern zu 53,1 % als „nichtmelanozytärer Hautkrebs“ codiert. Entsprechend wurden auch die Freitextangaben von weiteren Krebserkrankungen teilweise codiert:

  • zweite Krebserkrankung (Zuordnung zu vorgegebener Tumorlokalisation: 8,6 % bei Frauen, 2,5 % bei Männern; zu nichtmelanozytärem Hautkrebs 51,5 % bei Frauen, 51,7 % bei Männern),

  • dritte Krebserkrankung (Zuordnung zu vorgegebener Tumorlokalisation: 14,8 % bei Frauen, 0 % bei Männern; zu nichtmelanozytärem Hautkrebs 37,0 % bei Frauen, 42,1 % bei Männern) und

  • vierte beziehungsweise letzte Krebserkrankung (Zuordnung zu vorgegebener Tumorlokalisation: 16,7 % bei Frauen, 0 % bei Männern; zu nichtmelanozytärem Hautkrebs 83,3 % bei Frauen, 50 % bei Männern).

Die nichtcodierten unter „sonstige Krebserkrankung“ genannten Diagnosen sind mehrheitlich nicht in der Liste aufgeführte seltene Krebserkrankungen (Beispiele sind multiple Myelome, Ohrspeicheldrüsenkrebs, Retinoblastome, Tumore an der Lippe oder Vulva, Peniskarzinom).

Absolute und relative Häufigkeiten von Teilnehmenden, die angaben, dass bei ihnen jemals eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde, wurden berechnet, wobei die relativen Häufigkeiten auf die Gesamtstichprobe bezogen wurden. Die relative Häufigkeit der Anzahl der Krebserkrankungen wurde auf die Teilnehmenden mit einer jemals ärztlich diagnostizierten Krebserkrankung bezogen. Für die absoluten und relativen Häufigkeiten der einzelnen Tumorlokalisationen wurden diese aus allen berichteten Krebserkrankungen (erste und gegebenenfalls zweite, dritte und vierte beziehungsweise letzte Krebserkrankung) gezählt, wobei für jeden Teilnehmenden eine spezifische Tumorlokalisation nur einmal gezählt wurde, um eine Überschätzung durch das Mitzählen von Rezidiven zu vermeiden. Damit ist die Summe der selbstberichteten Tumorlokalisationen höher als die Zahl der Teilnehmenden mit einer jemals ärztlich diagnostizierten Krebserkrankung. Absolute und relative Häufigkeiten (pro 100.000 Teilnehmende) wurden stratifiziert nach Geschlecht und in 10-Jahres-Altersgruppen (Alter bei Rekrutierung) berechnet.

Zur Berechnung der absoluten und relativen Häufigkeiten von Tumorlokalisationen, die laut Selbstangabe in den letzten fünf Jahren bei NAKO-Teilnehmenden ärztlich diagnostiziert wurden, wurde aus dem angegebenen Jahr bzw. Alter bei Diagnose und dem Rekrutierungsalter die Zeitspanne zwischen Diagnose und Besuch im Studienzentrum berechnet und nur die Tumorlokalisationen wurden gezählt, deren Diagnose weniger als fünf Jahre vor Besuch des Studienzentrums angegeben wurde. Die absoluten und relativen Häufigkeiten von Tumorlokalisationen in den letzten fünf Jahren wurden stratifiziert nach Geschlecht und Alter, wobei die relativen Häufigkeiten auf die Gesamtstichprobe bezogen wurden. Das Zentrum für Krebsregisterdaten liefert aktuelle Daten zu partiellen Prävalenzen, wie der 5‑Jahres-Prävalenz, für Deutschland, welche mit den Daten der NAKO verglichen werden kann [6]. Methodisch werden diese 5‑Jahres-Prävalenzen basierend auf der Methode von Pisani et al. [7] aus den geschätzten Inzidenzraten für Deutschland und den nach Kaplan-Meier berechneten Überlebensraten (basierend auf Daten von Krebsregistern, die die qualitativen Einschlusskriterien für die Berechnung von Überlebensraten erfüllen) berechnet. Als Vergleichsdaten wurden aus der Datenbank des Zentrums für Krebsregisterdaten die geschlechtsspezifischen 5‑Jahres-Prävalenzen für die Altersgruppe 45–74 Jahre für das Jahr 2016 für folgende Tumorlokalisationen (ICD-10) extrahiert: Mundhöhle und Rachen (C00–C14), Speiseröhre (C15), Magen (C16), Darm (C18–C20), Leber (C22), Gallenblase und Gallenwege (C23–C24), Bauchspeicheldrüse (C25), Kehlkopf (C32), Lunge (C33–C34), malignes Melanom der Haut (C43), Brustdrüse (C50), Gebärmutterhals (C53), Gebärmutterkörper (C54–C55), Eierstöcke (C56), Prostata (C61), Hoden (C62), Niere (C64), Harnblase (C67), Schilddrüse (C73), Morbus Hodgkin (C81), Non-Hodgkin-Lymphome (C82–C88), Leukämien (C91–C95) und Krebs gesamt (C00–C97 ohne C44). Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die in der NAKO beobachteten relativen Häufigkeiten von in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen für die 45- bis 74-jährigen Teilnehmenden (n = 40.601 bzw. 74 % der weiblichen und n = 36.139 bzw. 76 % der männlichen Teilnehmenden) berechnet und nach der Bevölkerung in Deutschland 2011 [8] direkt altersstandardisiert.

Die statistischen Analysen wurden mit SAS® Enterprise Guide® (Version 4.3; SAS Institute Inc., Cary, NC) durchgeführt.

Ergebnisse

Das mediane Alter (25. und 75. Perzentile) der in diese Auswertung eingeschlossenen 101.787 Teilnehmenden lag bei Frauen bei 53 (44, 62) Jahren und bei Männern bei 54 (45, 63) Jahren. Trotz des Einschlussalters 20–69 Jahre gab es 1428 Frauen und 1543 Männer, die bei Rekrutierung zwischen 70 und 75 Jahre alt waren. Von 101.787 Teilnehmenden gaben 5139 (9,4 %) Frauen und 3295 (7,0 %) Männer (insgesamt 8434 bzw. 8,3 %) an, dass bei ihnen jemals von einem Arzt eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde (Tab. 1). Unter den Personen, die eine Krebserkrankung berichteten, gaben 88,0 % der Frauen und 88,7 % der Männer an, nur eine Krebserkrankung gehabt zu haben, 10,3 % der Frauen und 9,6 % der Männer gaben zwei und 1,8 % der Frauen und 1,7 % der Männer gaben zwischen drei und neun Krebserkrankungen an. Die relativen Häufigkeiten der Frauen und Männer, die eine Krebsdiagnose in der Vergangenheit berichteten, steigen über die 10-Jahres-Altersgruppen (Rekrutierungsalter) an (Abb. 1). Bei Frauen war die häufigste bösartige Krebserkrankung Brustkrebs (3332,4 pro 100.000), gefolgt von Gebärmutterhalskrebs (1599,2 pro 100.000) und malignem Melanom (1016,0 pro 100.000; Tab. 2). Bei Männern war die häufigste bösartige Krebserkrankung Prostatakrebs (1671,6 pro 100.000), gefolgt vom malignen Melanom (992,4 pro 100.000) und Darmkrebs (609,4 pro 100.000; Tab. 3).

Tab. 1 Häufigkeiten von selbstberichteten, jemals ärztlich diagnostizierten Krebserkrankungen und Anzahl der berichteten Krebserkrankungen in der NAKO
Abb. 1
figure 1

Altersspezifische relative Häufigkeiten selbstberichteter Krebserkrankungen (in Prozent). Erfragt wurde in einem persönlichen Interview, ob jemals von einem Arzt eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde, „keine Angabe“, „weiß nicht“ und unerlaubt fehlende Werte in der Summe jeweils ≤0,3 %

Tab. 2 Häufigkeiten von selbstberichteten Tumorlokalisationen bei Frauen in der NAKO nach Alter
Tab. 3 Häufigkeiten von selbstberichteten Tumorlokalisationen bei Männern in der NAKO nach Alter

Die absoluten und relativen Häufigkeiten von Tumorlokalisationen, von denen berichtet wurde, dass deren Diagnose innerhalb der letzten fünf Jahre gestellt wurde, und ein Vergleich mit krebsregisterbasierten 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland sind für Frauen in Tab. 4 und für Männer in Tab. 5 dargestellt. Beim Vergleich der altersstandardisierten Raten bei 45- bis 74-jährigen NAKO-Teilnehmenden mit den 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland im Jahr 2016 für die gleiche Altersgruppe (45–74 Jahre) wurden bei Frauen in der NAKO für alle Tumorlokalisationen niedrigere relative Häufigkeiten beobachtet, mit Ausnahme von malignem Melanom (269,9 pro 100.000 in der NAKO versus 172,0 pro 100.000 für Deutschland), Gebärmutterhalskrebs (101,2 pro 100.000 versus 59,6 pro 100.000) und Leberkrebs (12,8 pro 100.000 versus 11,8 pro 100.000). Bei der Summe der in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen ohne nichtmelanozytärem Hautkrebs wurden für Frauen in der NAKO mit 2195,3 pro 100.000 niedrigere relative Häufigkeiten verglichen mit der 5‑Jahres-Prävalenz für Deutschland (2952,6 pro 100.000) beobachtet. Bei 45- bis 74-jährigen männlichen NAKO-Teilnehmenden wurden ebenfalls niedrigere altersstandardisierte Raten im Vergleich mit den 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland beobachtet, mit Ausnahme von malignem Melanom (282,8 pro 100.000 in der NAKO versus 181,1 pro 100.000 für Deutschland), Brustkrebs (10,1 pro 100.000 versus 9,0 pro 100.000) und Harnblasenkrebs (128,6 pro 100.000 versus 126,0 pro 100.000). Für die Summe der in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen ohne nichtmelanozytärem Hautkrebs bei 45- bis 74-jährigen männlichen NAKO-Teilnehmenden lag die altersstandardisierte relative Häufigkeit mit 2058,4 pro 100.000 niedriger als die 5‑Jahres-Prävalenz für Deutschland (3092,5 pro 100.000).

Tab. 4 Häufigkeiten von in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen bei Frauen in der NAKO nach Alter und Vergleich mit krebsregisterbasierten 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland
Tab. 5 Häufigkeiten von in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen bei Männern in der NAKO nach Alter und Vergleich mit krebsregisterbasierten 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland

Diskussion

In dieser Arbeit werden die Methoden zur Erfassung von Krebserkrankungen in der Krankheitsvorgeschichte der NAKO-Teilnehmenden erstmals beschrieben und Ergebnisse zu absoluten und relativen Häufigkeiten von selbstberichteten Krebsdiagnosen bei den ersten 101.787 Teilnehmenden präsentiert. Mindestens eine ärztlich diagnostizierte Krebserkrankung wurde von 9,4 % der Frauen und 7,0 % der Männer berichtet, von denen die überwiegende Mehrheit (88,0 % der Frauen, 88,7 % der Männer) angab, nur eine Krebserkrankung gehabt zu haben. Die relativen Häufigkeiten selbstberichteter, jemals ärztlich diagnostizierter Krebsdiagnosen stiegen mit dem Rekrutierungsalter an. Bei Frauen war die häufigste bösartige Krebserkrankung Brustkrebs, gefolgt von Gebärmutterhalskrebs und malignem Melanom. Bei Männern war die häufigste bösartige Krebserkrankung Prostatakrebs, gefolgt vom malignen Melanom und Darmkrebs. Beim Vergleich der altersstandardisierten relativen Häufigkeiten der in den letzten fünf Jahren berichteten Tumorlokalisationen mit krebsregisterbasierten 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland zeigt sich, dass in der Altersgruppe der 45- bis 74-Jährigen für die meisten Tumorlokalisationen sowie für die Summe aller Tumorlokalisationen ohne nichtmelanozytärem Hautkrebs, in der NAKO niedrigere relative Häufigkeiten als in den Vergleichsdaten für Deutschland beobachtet wurden, mit Ausnahme von malignem Melanom sowie Gebärmutterhalskrebs und Leberkrebs bei Frauen und Harnblasenkrebs und Brustkrebs bei Männern, für welche höhere relative Häufigkeiten beobachtet wurden.

Die hier gezeigten Ergebnisse geben einen ersten Einblick in die Häufigkeit von selbstberichteten Krebserkrankungen in der medizinischen Vorgeschichte der NAKO-Teilnehmenden, was für die Charakterisierung der NAKO-Studienpopulation von Bedeutung ist und Auskunft darüber gibt, welche Teilnehmendenkollektive für erste Auswertungen, z. B. Vergleiche innerhalb von Personengruppen, die mit einer bestimmten Tumordiagnose leben, herangezogen werden können. Darüber hinaus liefern die gezeigten Daten Informationen darüber, welcher Anteil der NAKO-Studienpopulation laut Selbstangabe frei von Krebserkrankungen bzw. frei von spezifischen Tumorlokalisationen ist, also die Grundpopulation für zukünftige Analysen von inzidenten Krebserkrankungen bildet. Die Dokumentation der inzidenten Krebserkrankungen wird in der NAKO über aktives Follow-up mit Fragebögen per Post (alle 2–3 Jahre) erfolgen sowie über passive Follow-up-Methoden durch Abgleiche mit Krebsregisterdaten und Todesursachenstatistiken sowie Krankenkassendaten.

Sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen NAKO-Teilnehmenden wurden für die meisten Tumorlokalisationen und für die Summe aller Tumorlokalisationen ohne nichtmelanozytärem Hautkrebs, niedrigere 5‑Jahres-Prävalenzen als in den Vergleichsdaten für Deutschland beobachtet. Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass es sich bei den NAKO-Teilnehmenden um ein gesünderes Kollektiv im Vergleich zur Ausgangspopulation handelt, wie es bei vergleichbaren Kohortenstudien häufig beobachtet wurde [9,10,11,12]. Die niedrigen relativen Häufigkeiten von in den letzten fünf Jahren diagnostizierten Tumoren in Mundhöhle und Rachen, Kehlkopf und Lunge in der NAKO im Vergleich zu den 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland könnten auch damit zu erklären sein, dass Raucher unter den eher gesundheitsbewussten Teilnehmenden unterrepräsentiert sind, wie es auch in anderen Kohortenstudien beobachtet wurde [9, 10]. Zudem ist es möglich, dass überlebende Patienten, die von Tumoren betroffen waren und deren Behandlung langfristig mit starken Einschränkungen in der Lebensqualität verbunden waren, seltener bereit waren, an der NAKO teilzunehmen. Unter Berücksichtigung der vorläufig berechneten Responseproportion von 18 % [5] zur Halbzeit der NAKO-Basiserhebung können sich Effekte differenzieller Teilnahmebereitschaft deutlich auf die Häufigkeit von Krebserkrankungen in der NAKO-Gesamtpopulation auswirken. Eine Übertragbarkeit der hier präsentierten relativen Häufigkeiten von Krebserkrankungen auf die Bevölkerung in Deutschland ist daher nicht gegeben.

In früheren Kohortenstudien wurde auch gezeigt, dass nicht nur die Prävalenz von selbstberichteten Krebserkrankungen, sondern auch die Inzidenz von Krebserkrankungen sowie die Krebsmortalität während der Nachbeobachtungszeit niedriger waren als in der Ausgangspopulation [10, 13,14,15]. Eine vergleichbare Untersuchung kann in der NAKO erst nach Ablauf der ersten Jahre der Nachbeobachtungszeit erfolgen.

Höhere relative Häufigkeiten von in den letzten fünf Jahren berichten Krebslokalisationen in der NAKO im Vergleich zu den 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland wurden bei Männern und Frauen für maligne Melanome sowie für Gebärmutterhalskrebs und Leberkrebs bei Frauen und Harnblasenkrebs und Brustkrebs bei Männern beobachtet. Malignes Melanom und Gebärmutterhalskrebs zählen zu den Tumoren, die durch Screening und regelmäßige Arztbesuche mit einer höheren Entdeckungswahrscheinlichkeit bei gesundheitsbewussten Personen, die regelmäßig Ärzte aufsuchen, einhergehen, was mit der Annahme, dass es sich bei den NAKO-Teilnehmenden, wie in anderen Kohortenstudien [10], um ein gesundheitsbewusstes Kollektiv handelt, im Einklang steht. Zudem ist anzunehmen, dass es beim malignen Melanom sowie Tumoren des Gebärmutterhalses und der Harnblase zu höheren selbstberichteten Häufigkeiten in der NAKO kam, wenn Studienteilnehmende In-situ-Karzinome berichteten, die bei diesen Lokalisationen häufiger auftreten. Dagegen werden In-situ-Karzinome in den Daten des Zentrums für Krebsregisterdaten gesondert aufgeführt [16]. Die hohen relativen Häufigkeiten von Gebärmutterhalskrebs sind möglicherweise auch dadurch zu erklären, dass es hier seitens der Teilnehmerinnen zu einer Verwechslung mit Gebärmutterkörperkrebs kam. Die höheren 5‑Jahres-Prävalenzen von Leberkrebs bei Frauen in der NAKO sind möglicherweise teilweise damit zu erklären, dass hier Lebermetastasen von den Teilnehmenden als Leberkrebs angegeben wurden.

Es ist auffallend, dass das maligne Melanom der Haut bei Frauen die dritthäufigste und bei Männern die zweithäufigste berichtete Krebsdiagnose war. Es kann spekuliert werden, ob Teilnehmende teilweise nichtmelanozytären Hautkrebs als malignes Melanom eingestuft haben, was die hohen relativen Häufigkeiten selbstberichteter maligner Melanome teilweise erklären könnte. Auf der anderen Seite ist der in der NAKO erfasste nichtmelanozytäre Hautkrebs nur mit Einschränkung interpretierbar, da diese Krebserkrankung nicht in der Liste der zu erfassenden Krebslokalisationen aufgeführt war und semimaligne Tumoren wie Basalzellkarzinome laut Standardprotokoll nicht erfasst werden sollten. Wenn die Teilnehmenden jedoch ein Basalzellkarzinom als sonstige Krebserkrankung angaben, wurde dies als Freitextangabe erfasst. Für die vorliegende Untersuchung wurden diese Angaben verwendet, um für die Summe aller Krebslokalisationen ohne nichtmelanozytären Hautkrebs absolute und relative Häufigkeiten zu berechnen, die mit den Krebsregisterdaten, die nichtmelanozytären Hautkrebs in der Regel ausschließen, vergleichbar sind.

Für die derzeit laufende Zweituntersuchung wurden die Fragen nach Krebserkrankungen leicht verändert: Die Teilnehmenden werden gefragt, ob bei ihnen seit der Erstuntersuchung ein bösartiger Tumor ärztlich diagnostiziert wurde, wobei darauf hingewiesen wird, dass auch Vorstufen wie Carcinoma in situ und sogenannte semimaligne Tumoren wie Basalzellkarzinome genannt werden sollen. Gutartige Tumoren wie Dickdarmpolyp, Harnblasenpolyp, Adenom der Brust oder Myom der Gebärmutter werden gesondert erfasst.

Aussagen über die Validität der Selbstangaben von Krebserkrankungen in der medizinischen Vorgeschichte der NAKO-Teilnehmenden können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden. Ein Abgleich mit den lokalen Krebsregistern hat in der NAKO bereits begonnen. Ob ein Abgleich möglich ist, hängt jedoch von der Laufzeit der Krebsregister ab und wird für länger zurückliegende Krebsdiagnosen nur teilweise realisierbar sein. In einer US-amerikanischen Kohortenstudie wurden Selbstangaben zu Krebserkrankungen in der medizinischen Vorgeschichte der Teilnehmenden mittels Krebsregisterdaten abgeglichen und der positiv prädiktive Wert, also der Anteil der selbstberichteten Krebsdiagnosen, der von den Krebsregistern bestätigt wurde, war mit 0,75 für Krebserkrankungen insgesamt relativ hoch, wobei die höchste Validität für Brustkrebs (0,85), Prostatakrebs (0,80) und Gebärmutterkörperkrebs (0,79) und die niedrigste Validität für maligne Melanome (0,34) und Leukämien (0,41) beobachtet wurde [17].

Stärken und Schwächen

Zu den Stärken dieser Untersuchung zählt das populationsbasierte Design der NAKO, die die größte prospektive Kohortenstudie Deutschlands darstellt. So stellen schon die hier eingeschlossenen 101.787 Teilnehmenden eine reichhaltige Datenquelle dar. Darüber hinaus stellt die standardisierte Datenerhebung in allen Studienzentren mit zentraler Datenkontrolle eine hohe Datenqualität sicher. Für die gegenwärtige Untersuchung lagen keine vergleichbaren Selbstangaben von Krebserkrankungen aus bevölkerungsbasierten Surveys in Deutschland vor. Obwohl repräsentative Surveys wie die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) Häufigkeiten von Selbstangaben zu kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen veröffentlicht haben [18], gibt es keine vergleichbaren Veröffentlichungen zu Krebserkrankungen.

Der Vergleich der innerhalb der letzten fünf Jahre berichteten Krebsdiagnosen in der NAKO mit den aus den Krebsregistern geschätzten 5‑Jahres-Prävalenzen für Deutschland im Jahr 2016 hat Limitationen. Die partiellen Prävalenzen des Zentrums für Krebsregisterdaten werden aus geschätzten Inzidenzraten und Überlebenswahrscheinlichkeiten berechnet, welche nur aus jenen Krebsregistern ermittelt werden, die die qualitativen Einschlusskriterien erfüllen. Im Unterschied dazu basieren die in der NAKO ermittelten 5‑Jahres-Prävalenzen auf Selbstangaben der Teilnehmenden, die Diagnosen von Krebserkrankungen in der Vergangenheit berichteten. Da partielle Prävalenzen nur für spezifische Altersgruppen (0–44, 45–54, 55–64, 65–74, 75 und älter) aus dem Zentrum für Krebsregisterdaten verfügbar sind, konnte ein Vergleich nur für ein Teilkollektiv der NAKO, nämlich die 45- bis 74-Jährigen, erfolgen.

In die vorliegende Auswertung gingen Mehrfachtumoren ein, sofern sie bei den NAKO-Teilnehmenden in unterschiedlichen Organen aufgetreten sind. Dies entspricht annähernd der Vorgehensweise der Krebsregister, die sich auf die internationalen Empfehlungen der International Agency for Research on Cancer (IARC) zur Zählweise und Definition multipler Tumoren stützen [19]. Laut IARC-Empfehlung werden Mehrfachtumoren in einem spezifischen Organ jedoch als einzelne Krebserkrankungen gezählt, wenn sie sich histologisch unterscheiden, was anhand der vorliegenden Selbstangaben zu Krebserkrankungen in der NAKO nicht überprüft werden konnte. Zudem wurden in der NAKO maximal vier Krebserkrankungen (erste, zweite, dritte und vierte bzw. letzte) erfasst. Für den kleinen Anteil der Teilnehmenden, die zwischen fünf und neun Krebserkrankungen angaben, wurden nähere Angaben einschließlich der Krebslokalisation für einen Teil der Krebserkrankungen somit nicht erfasst. Zudem kann anhand der vorliegenden Daten keine Aussage darüber gemacht werden, ob es sich bei den berichteten Zweit‑, Dritt- und Letzttumoren um Primärtumoren oder Metastasen der ersten Krebserkrankung handelt.

Fazit

In dieser Untersuchung der ersten 101.787 NAKO-Teilnehmenden gaben 9 % der Frauen und 7 % der Männer an, dass bei ihnen jemals in der Vergangenheit eine Krebserkrankung (bösartige Tumore einschließlich in situ) ärztlich diagnostiziert wurde. Die häufigsten bösartigen Krebserkrankungen waren bei Frauen Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und malignes Melanom sowie bei Männern Prostatakrebs, malignes Melanom und Darmkrebs. Die niedrigeren relativen Häufigkeiten für die meisten Krebslokalisationen und die Summe aller Krebserkrankungen, deren Diagnose in den letzten fünf Jahren berichtet wurde, im Vergleich mit der krebsregisterbasierten 5‑Jahres-Prävalenz für Deutschland sprechen dafür, dass es sich bei den NAKO-Teilnehmenden um ein gesünderes Kollektiv im Vergleich zur Ausgangspopulation handelt, wie es auch in vergleichbaren Kohortenstudien beobachtet wurde. Die NAKO ist eine reichhaltige Datenbasis für die zukünftige Untersuchung inzidenter Krebserkrankungen sowie für Vergleiche innerhalb von Personengruppen, die mit einer bestimmten Tumordiagnose leben.